Neurologie

Dienstag, 13.06.2017

Jetzt habe ich lange genug über das süße Erasmus-Leben erzählt – ich möchte nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht ;)
Anfang Mai begann der Neurologie-Kurs, den ich im 4-Jahres-Programm der Amerikaner belegt habe. Für vier Wochen ist Dr. Józefowicz mit anderen Dozenten, Assistenzärzten („Residents“) und Medizinstudenten von der University of Rochester in New York gekommen, um ein intensives Kursprogramm abzuhalten. Jeden Tag in „formal attire“ von 8:30 – 15:00 Uhr ausnahmslose Anwesenheitspflicht, in deren Anschluss dann noch Patientenfälle erarbeitet werden mussten. So bin ich oft erst gg. 17:00 Uhr aus der Klinik gekommen und musste bis zum nächsten Tag noch Berichte fertigstellen, Differentialdiagnosen recherchieren und den nächsten Tag vorbereiten. Ein Witz dabei, dass die Bibliotheken ihre Lesesäle schon um 19:00 Uhr schließen! So erklärt sich teilweise, wieso so viele Studenten in Cafés an ihren Unterlagen arbeiten ;) Ich selbst war auch oft in Rock und Bluse noch mit Laptop unterwegs, denn im Wohnheim gibt es zwar ein Lernzimmer, aber ideale Bedingungen sind es nicht.


In der ersten Woche gab es noch einige Wiederholungs-VL für Neuroanatomie, was sehr hilfreich war – wg. der Sprache und auch weil ich Neuroanatomie in der Vorklinik vor 5 (!) Jahren hatte. Dann ging es los mit der Struktur der nächsten Wochen: 2h Vorlesungen für den ganzen Jahrgang, dann 2h Fallstudien in Untergruppen à 12-15 Studenten. Nach der Mittagspause folgten Patientenvorstellungen ebenfalls in diesen Untergruppen und im Anschluss hat man im kleinen Team Patienten gesehen und für die nächste Vorstellung vorbereitet. Die Teams wurden von jeweils einem Medizinstudent aus Rochester betreut, die diesen Kurs als didaktisches Wahlfach belegt haben, nachdem sie in Rochester schon Neurologie abgeschlossen hatten. Für viele war das eine tolle Gelegenheit, zum ersten Mal nach Europa zu kommen, weswegen nicht alle zukünftige Neurologen waren, aber in jedem Fall sehr gute und engagierte Studenten. Die Untergruppen aus ca. 3-4 Teams wurden von drei Assistenzärzten betreut, bei mir waren das Rebecca, Jen und Jenie.

Dr. J’s Vorlesungen entsprachen Wort für Wort dem Skript und auch seine Witze, Anekdoten und Pausen sind genau die gleichen wie in den letzten 20 Jahren (haben mir die Studenten aus Rochester bestätigt). Die Assistenzärzte haben bei ihren Vorlesungen auflockernde Übergangsfolien eingebaut, oft zu ihrem Herkunftsort, und so habe ich neben Neurologie noch etwas über Rochester, Utah und Peru gesehen.

Am bereichernsten empfand ich die Fallstudien, die in Untergruppen besprochen und gelöst wurden. Dabei herrschte anfangs eine angespannte Atmosphäre, aber sobald man ein bisschen warm geworden war, hat man sich getraut Fragen zu stellen und sogar kleine Witze zu machen. Interessant fand ich dabei die sehr anatomische Vorgehensweise: Nach jedem Absatz hieß es erstmal: where does this localize to? Also, wo im Nervensystem liegt der Fehler? Genauso wurde auch bei den Patientenvorstellungen am Nachmittag vorgegangen, und so wurden wir letztlich sehr gut auf die Abschlussprüfung vorbereitet – gottseidank, denn sehr viel Zeit zum eigenständigen Lernen war neben den Präsenzzeiten nicht gegeben! Die zentrale NBME-Prüfung (national board of medical examiners), die wir an Tablets, auf denen wir von den USA aus dafür freigeschalten wurden, abgelegt haben, bestand nämlich aus sehr klinischen Fällen und Fragen. Die Abschlussnote wird dann zu Hälfte aus dieser Punktzahl, zur Hälfte aus den schriftlichen Evaluationen, die jeder Student von den Assistenzärzten der Gruppe erhält, zusammengesetzt.

Neben dem hohen Arbeitspensum war es auch sehr schön, jeden Tag mit der gleichen Gruppe zu verbringen und so echt nette Leute kennen zu lernen. Die Studenten aus Rochester waren oft mit uns unterwegs, z.B. gab es am Ende ein „social“, also ein kleines Abschiedstreffen mit allen, und am Tag der Prüfung hat ein Studentenpaar zur Feier in seine Wohnung eingeladen.

Eine intensive, sehr gewinnbringende Zeit! Neurologie hat mir auf jeden Fall Spaß gemacht und die Zusammenarbeit in unseren Studenten-Teams lief super, ich habe mich in dem Jahrgang richtig wohl gefühlt.